Supermarkt statt Bundesliga-Trainerbank. Holger Stanislawski hat einen eher ungewöhnlichen Weg eingeschlagen. Nach seinem freiwilligen Abgang beim 1. FC Köln zum Ende der Zweitliga-Saison 2012/2013 hat er sich im Hamburger Nobelstadtteil Winterhude ein neues Standbein aufgebaut. Zusammen mit dem ehemaligen HSV-Profi Alexander Laas und dem früheren HSV-Aufsichtsrat Bernd Enge leitet er eine große REWE-Filiale und ist damit „erfolgreich und glücklich“, wie er sagt. Ganz von der Fußball-Bildfläche verschwunden ist er dabei nicht. Seit 2015 gibt er als ZDF-Experte sein Fachwissen zum Besten. Auch bei der WM in Russland wird er mit am Start sein, als – Zitat – „komischer Vogel an der Taktiktafel.“
Zum Kult-Kicker avancierte der heute 48 Jahre alte Hamburger zu seiner Zeit als Abwehrspieler beim FC St. Pauli. Ab 1993 absolvierte er 260 Pflichtspiele, davon 79 in der 1. Bundesliga, für den Kiez-Club. 2002 gehörte er zum Team „Weltpokalsiegerbesieger“, das den großen FC Bayern am Millerntor mit 2:1 in die Knie zwang. Das legendäre T-Shirt wurde damals zum Merchandising-Knaller und verkaufte sich mehr als 120.000 Mal. Markant war auch die Spielweise der Klub-Ikone. Als eisenharter Vorstopper flößte „Stani“, wie ihn alle nennen, den gegnerischen Angreifern gehörig Respekt ein. In der Saison 2001/02 verpasste der Dauerbrenner keine einzige Minute. Den Abstieg damals konnte er dennoch nicht verhindern. Aufgrund einer langwierigen Knieverletzung musste der Mannschaftskapitän 2004 seine aktive Karriere beenden, erlangte danach einen sport-kaufmännischen Abschluss und wechselte zunächst ins Management des Vereins.
Nach der Entlassung von Trainer Andreas Bergmann übernahm Stanislawski zusammen mit Co-Trainer André Trulsen die Mannschaft. Mangels Lizenz fungierte er damals zunächst als Teamchef. Innerhalb von vier Jahren führte er die Braun-Weißen von der dritten bis in die erste Liga und veränderte dabei auch die antiquierte Spielweise: vom typischen lang und weit hin zu schnellem attraktiven Angriffsfußball. Nach dem Bundesliga-Aufstieg 2010 – Stanislawski hatte in der Zwischenzeit als Jahrgangsbester seine Fußball-Lehrer-Lizenz erworben – stieg Pauli nach nur einer Spielzeit wieder ab. „Stani“ nahm danach seinen Hut.
Nach einem kurzen Intermezzo bei der TSG Hoffenheim von Juli 2011 bis Februar 2012 heuerte er beim 1. FC Köln an und avancierte auch hier bei Fans und Medien zum Liebling. Den zuvor abgestiegenen „Effzeh“ wollte er möglichst auf direktem Weg wieder zurück ins Oberhaus führen. Als dies mit Platz fünf nicht gelang verkündete der Norddeutsche völlig überraschend seinen Abschied, trotz eines noch laufenden Vertrags.
Seitdem kümmert er sich als Geschäftsführer um „seinen“ Supermarkt. Von vielen zunächst belächelt. „Die Geringschätzung kommt daher, weil keiner weiß, wie ein Supermarkt funktioniert. Wir haben 7000 Quadratmeter Fläche, 130 Angestellte, 45 000 Artikel, machen 30 Millionen Umsatz im Jahr. Das ist Management!“, sagte er in einem Interview mit der FAZ.
An der Käsetheke oder Kasse sieht man ihn demnach eher nicht. „Das habe ich am Anfang mal gemacht, wegen der Fotomotive. Es war auch in Ordnung, wenn gewitzelt wurde: Stani an Kasse vier! Oder: Stani, bitte drei Scheiben Tilsiter. Das habe ich gern mitgemacht. Aber ein bisschen mehr gehört schon dazu.“
Fest steht, „Stani“ geht hier mit der gleichen Leidenschaft zu Werke wie als Spieler oder Trainer. Die Kunden sollen nicht für Selfies kommen, sondern wegen der Qualität des Marktes und seiner Waren oder auch den attraktiven Angeboten.
Eine Rückkehr in den Profifußball schließt der gelernte Masseur indes nicht komplett aus, jedoch müsse schon etwas Außergewöhnliches passieren. Anfragen gibt es regelmäßig, bestätigt er. „Wer weiß, ob irgendwann das Richtige dabei ist.“
Bis dahin beschränkt er sich auf die Rolle des TV-Experten im Zweiten. Die Weltmeisterschaft, natürlich ein Highlight abseits des normalen Supermarkt-Alltags – den er allerdings sehr genießt und mit Sicherheit auch im Notfall an der Käsetheke oder beim Storno an der Kasse aushelfen würde.