Jonathan Akpoborie: Ein „Sklavenschiff“ als Karrierekiller

Jonathan Akpoborie gehörte über viele Jahre zu den besten Stürmern der Bundesliga. Der Nigerianer hatte es geschafft, vom Straßenfußballer aus Afrika zum Großverdiener im Europäischen Fußballgeschäft. Aus einer Möglichkeit, mit dem Geld seine Familie in der Heimat zu unterstützen, folgten dubiose Vorfälle um ein so genanntes „Sklavenschiff“, die schließlich seine Karriere auf tragische Weise beendeten.

Vielleicht war Akpoborie einfach schon zu lange zu weit weg von seinem Geburtsort Lagos, der größten Afrikanischen Stadt und Geschäftsmetropole im westafrikanischen Nigeria. Vielleicht war er zu naiv zu ahnen, dass die Umstände vor Ort andere sind als in Deutschland. Korruption, illegale Geschäfte und Armut sind Alltagsprobleme, finanzielle Investitionen können schnell Neid und Gewalt hervorrufen. Vielleicht hat er aber auch falschen Leuten vertraut oder wurde von seinen Familienmitgliedern hintergangen. Vielleicht ist er auch Opfer von Medien, die in einem konfus arbeitenden afrikanischen Entwicklungsland Fakten mit Spekulationen vermischen, voneinander abschreiben und so eine Karriere zerstört haben. Es gibt viele Vermutungen, eine Antwort bis heute nicht. Weder kam es zu einer Anklage noch konnte Akpoborie die Beschuldigungen vollständig ausräumen.

 

Bereits im Alter von 17 Jahren verlässt Akpoborie seine Heimat. Ein Stipendium aus den USA winkt, nachdem er mit seinem Land Nigeria U16-Weltmeister geworden ist. Es ist der Schritt heraus aus seiner vertrauten Umgebung, seiner Familie mit seinen 11 Geschwistern. Es ist auch eine gängige Situation für viele Afrikaner. Jedes Familienmitglied ist für die Ernährung der gesamten Familie zuständig. Der Fußball und das Stipendium sind die große Chance für Akpoborie.

Akpoborie lebt 3 Jahre in New York, studiert und kickt am Brooklyn College. 1990 holen ihn Talentsichter nach Deutschland. Er spielt 4 Jahre erfolgreich in der 2.Bundesliga, erzielt für Saarbrücken 9, für Carl-Zeiss Jena sogar 26 Tore in je 2 Spielzeiten. Nachdem Jena die Liga trotzdem nicht halten kann, wechselt Akpoborie zu den Stuttgarter Kickers und wird mit beeindruckenden 37 Toren in 32 Spielen Torschützenkönig der Regionalliga Süd. Nun werden auch die ersten großen Vereine auf den Stürmer aufmerksam und Akpoborie gelingt der Sprung in die Bundesliga. Über einen halbjährigen Umweg über Waldhof Mannheim landet Akpoborie bei Hansa Rostock und schnuppert erstmals Bundesligaluft. 1996/97 erzielt er fast die Hälfte aller Rostocker Treffer und hat somit einen großen Anteil am Klassenerhalt der Ostseestädter.

Der Aufschwung nimmt kein Ende, Spitzenclub VfB Stuttgart sichert sich die Dienste des Torjägers, mit 21 Treffern in 2 Jahren erreicht Akpoborie den Höhepunkt seiner Karriere. Er steht mit dem VfB im Europapokalfinale der Pokalsieger, absolviert insgesamt 12 Länderspiele für sein Heimatland, darf sogar in einem Freundschaftsspiel gegen seine Wahlheimat Deutschland für eine Viertelstunde ran. Der lebensfrohe und humorvolle Nigerianer gehört inzwischen zu den großen Stürmern der Bundesliga, zusammen mit Kirsten, Polster, Bobic oder Elber. Ein Auftritt in der Sendung ran macht ihn endgültig zum Kultspieler. Als Rapper will er sich und seine Nationalmannschaft zu einem möglichst erfolgreichen Abschneiden bei der WM in Frankreich pushen. Seine stotterige Textpassage „Hi, my name is Jonathan Akpoborie and this is the Akpoborie-Song“ aus dem Hit „We will win“ wird jedoch zur Lachnummer und tragischerweise verhindert eine Verletzung dann auch noch die Teilnahme von „Johnny“ bei der Weltmeisterschaft.

 

Doch dann macht Akpoborie das, wofür er von seiner Familie entsandt wurde. Er will sie unterstützen. Zusammen mit mehreren Familienmitgliedern gründet er das Unternehmen „Titanic Investment Limited“, erwirbt in Dänemark das Fährschiff „Xmas Day“ und lässt es in sein Heimatland transportieren. Unter dem Namen seiner Mutter „Etireno“ soll das Schiff für Arbeit und Einnahmen in seiner Familie sorgen. Die Fähre pendelt an der Goldküste zwischen Gabun und Benin, gilt schnell als zuverlässig und renommiert. Bis 2001 die Kinderhilfsorganisation Terre des Hommes einen Vorfall publik macht, den Akpoborie letztendlich die Karriere kostet. Das Fährschiff wird an der Grenze zu Benin aufgehalten. An Bord befinden sich Kinder ohne Eltern und Papiere. Der Verdacht, dass es sich um Kindersklavenhandel dreht, macht schnell die Runde. Erst wird von 250 Kindern gesprochen, am Ende sind es 43 offiziell bestätigte. Auch das Gerücht, die anderen 207 Kinder wären über Bord geworfen worden, kommt auf. Und Akpoborie steckt mitten drin in einem Skandal, der für europäische Verhältnisse schier unglaublich scheint. Ein Bundesligastar und Sklavenhandel? Das passt für viele nicht zusammen.

Er versucht zu erklären, wie afrikanische Verhältnisse funktionieren. Dass Kinder von ihren Eltern geschickt werden, um in fremden Ländern zu arbeiten, so wie er einst geschickt wurde. Gleichzeitig streitet er ab, von dem Transport gewusst zu haben. Ein Bericht auf CNN habe ihn erst darauf aufmerksam gemacht, dass es sich bei dem Schiff um SEIN Schiff handele. „Ich dachte, ich traue meinen Augen nicht“, gibt Akpoborie zu Papier. Er versucht den Ruf seiner Familie zu retten, doch selbst entlastende Pressemeldungen von UNICEF und terre des hommes können die Medienmaschinerie nicht stoppen. Volkswagen, Hauptsponsor der VfL Wolfsburg, für den Akpoborie in seiner 2. Saison spielt, drängt darauf, Akpoborie zu entlassen, um Imageschaden vom Unternehmen abzuwenden. Der VfL versucht die Geschichte aufzuklären, stellt Akpoborie dazu zunächst frei, gibt dem Druck des Autokonzerns aber schließlich nach. Akpoborie wird ohne konkrete Anklage suspendiert, als er gerade in seiner Heimat weilt, um die Anschuldigungen zu klären und vor der Polizei seine Stellungnahme abzugeben. Volkswagen hatte kurz zuvor einen großen Betrag an Terre des Hommes gespendet.

Der Imageschaden bleibt an Akpoborie hängen. Er sucht nach Erklärungen, seine Familie habe die Tickets an eine Agentur verkauft und die Passkontrolleure haben die Kinder an Bord gelassen. Es stellt sich die Frage, wo die Verantwortung endet und die Schuld beginnt. Auch wenn ihm selbst weder Schuld noch Beteiligung an der Aktion nachgewiesen wurde, das Image des ehemaligen Sympathieträgers ist nachhaltig ruiniert.

Akpoborie schließlich findet nicht auf den richtigen Weg zurück. Obwohl es nie zu einer Anklage gegen ihn kommt, setzen ihm die medialen Berichte zu. Ein Neuanfang beim 1.Fc Saarbrücken scheitert, da Akpoborie weder an seine frühere Leistung noch an seine Fitness anknüpfen kann. Nach nur 4 Kurzeinsätzen in Liga 2 geht die Karriere mit einem Knorpelschaden schließlich kaum wahrgenommen zu Ende. Sie scheitert an Verstrickungen, Nachreden, fehlender Unschuldsüberzeugung und dem Mangel an Aufklärung über die Gegebenheiten in Afrika.

Akpoborie ist heute Spielerberater und versucht, afrikanischen Jugendlichen eine Chance auf dem Europäischen Fußballmarkt zu geben. Einen Teil seiner Familie hat er seit dem Vorfall nicht wiedergesehen. Seine Geschichte wurde 2010 in der Dokumentation „Das Schiff des Torjägers“ durch die Österreichische Regisseurin Heidi Specogna verfilmt. Auch Akpoborie spielt darin eine entscheidende Rolle, ein Großteil des Filmes handelt jedoch von den afrikanischen Verhältnissen. Ein weiterer Baustein beim Versuch das Image von Jonathan Akpoborie zu reparieren.

Trailer zum Film „Das Schiff des Torjägers“

Das ist Jonathan Akpoborie

Geburtstag: 20. Oktober 1968
Nationalität: Nigeria
Bundesligavereine: Hansa Rostock, VfB Stuttgart, VfL Wolfsburg
Bundesligaspiele: 144
Bundesligatore: 61
Länderspiele: 12
Länderspieltore: 0
Platzverweise: 1
Titelgewinne:

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